Donnerstag, Mai 03, 2018

Hände weg vom Wedding!

Bericht zur Demonstrationsbeobachtung am 30. April 2018 in Berlin-Wedding



Am 30. April 2018 führte der arbeitskreis kritischer jurist_innen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin) eine Beobachtung des Polizeieinsatzes auf der Demonstration „Organize“ in Berlin-Wedding durch. Die Demonstration wurde von einem breiten Bündnis organisiert, dem auch „Händeweg vom Wedding!“ angehört. Sie richtete sich unter dem Motto „Widerständig und solidarisch im Alltag. Organize!“ gegen Gentrifizierung, Kapitalismus und Rassismus. An der Beobachtung beteiligten sich sechs Personen.

Bei linken Demonstrationen kommt es immer wieder zu Gewalt und Willkür durch die Polizei, weswegen der akj-berlin regelmäßig das Verhalten der Polizei auf Demonstrationen beobachtet und nachher einen Bericht erstellt.

Nachträgliches Flaschenverbot als Kontrollkompetenz

Bereits vor Beginn der Versammlung führte die Polizei an einigen Zugängen zur Demonstration Vorkontrollen aller Ankommenden durch, an anderen Stellen wurden diese nur selektiv durchgeführt. Trotz der Aussage seitens der Polizei, dass es keine Auflagen gebe, durften Glasflaschen nicht mitgeführt werden. Das Verbot des Mitführens von Glasflaschen wurde genutzt, um Taschendurchsuchungen zu rechtfertigen. Nach den Vorkontrollen konnten in angrenzenden Läden problemlos Glasflaschen erworben werden. Daher erschien diese Maßnahme willkürlich und schikanös. Teilnehmende mussten außerdem ihre Transparente und Fahnen entrollen, um aufgedruckte Motive und Sprüche zu zeigen. Teilweise traten die eingesetzten Beamt*innen unhöflich auf. Durch diese Maßnahmen wurden schon im Vorfeld der Versammlung potenzielle Demonstrationsteilnehmer*innen eingeschüchtert.

Außerdem irritierte, dass Demosanitäter*innen (Riot Medics) auch nach Rücksprache mit der Polizei keinen Helm als Teil ihrer Arbeitskleidung mitführen durften. Die Polizei erlaubte daher ein Mitlaufen unter Mitführung des Helms nur außerhalb der Veranstaltung. Dies hätte im Ernstfall eine schnelle Erste Hilfe deutlich erschwert.

Zivilbeamte, Polizeiaufgebot, Kameraeinsatz, Gewahrsamnahmen

Im Demonstrationszug befanden sich rund fünfzehn Beamt*innen in Zivil, die zu Beginn der Versammlung erst nach entsprechender Aufforderung durch die Veranstalter*innen vom Lautsprecherwagen Westen anzogen, die sie als Polizist*innen erkennbar machten. Im Einsatz waren Polizeieinheiten aus Berlin, Nordrhein-Westfalen sowie von der Bundespolizei (inkl. Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten). Laut dem Pressesprecher der Berliner Polizei waren anlässlich der Demonstration 1.700 Beamt*innen im Einsatz. Sie waren größtenteils mit Protektorenanzügen bekleidet und setzten im Verlaufe der Demonstration teilweise Helme auf.

Der Demonstrationszug setzte sich um 17 Uhr vom U-Bahnhof Seestraße mit mehreren Tausend Teilnehmer*innen lautstark und kraftvoll in Bewegung. Es fiel auf, dass auf einigen Hausdächern entlang der Route Polizist*innen postiert waren. Vereinzelt wurde von Beamt*innen gefilmt; außerdem war ein Kamerawagen im Einsatz, dessen ausfahrbare Kamera zunächst gegen den Boden, später auch auf den Demonstrationszug gerichtet war. Vor dem Amtsgericht Wedding gab es eine deutlich verstärkte Polizeipräsenz einschließlich eines halben Dutzends Polizeihunden sowie Hamburger Gittern.

Nach Beendigung der Demonstration konnten wir beobachten, wie zwei Personen zur Identitätsfeststellung festgehalten wurden. Eine minderjährige Person wurde im U-Bahnhof Osloer Straße umstellt und – nach unserer Beobachtung ohne vorherige Belehrung über seine Beschuldigtenrechte – zu seinem angeblichen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz befragt. Danach wurde er in einen Gefangenenwagen gebracht. Uns sowie weiteren Umstehenden wurde währenddessen jegliche Kontaktaufnahme zu ihm verwehrt; nach etwa einer Stunde wurde er freigelassen.

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Mittwoch, Dezember 13, 2017

Durch den Regen, durch den Hain

Bericht zur akj-Demonstrationsbeobachtung am 25. November 2017


Wie schon in den letzten Jahren führten wir, der arbeitskreis kritischer jurist*innen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin), mit einem Team von zwölf Personen eine Beobachtung der diesjährigen Silvio Meier Demo durch:

Trotz kalt-nassem Novemberwetter versammelten sich am 25.11.2017 zahlreiche Anifaschist*innen zur diesjährigen Silvio-Meier-Demo in Friedrichshain. Ab ca. 17 Uhr kamen die ersten Aktivist*innen zum Startpunkt der Demo an der Samariterstraße, wo bereits eine Vielzahl von Polizeibeamt*innen der zweiten und dritten Abteilung der Bereitschaftspolizei Berlin warteten. Zusätzlich zu der Bereitschaftspolizei befanden sich auch mindestens zwölf durch grüne Westen gekennzeichnete Zivilpolizist*innen auf der Demo.

Vor Beginn der Demo wurde der Zugang zum Treffpunkt teilweise durch Vorkontrollen zwischen den U-Bahnaufgängen erschwert. Auf teils grobe Art wurden verschiedene Personen auf verbotene Gegenstände hin durchsucht. Beobachtet wurde auch ein völlig anlassloser und in der Folge ergebnisloser Alkohol-Test an einem Teilnehmenden.

Mit Verspätung setzte sich der Zug um 17:50 auf die Silvio-Meier-Straße in Richtung Nord Kiez in Bewegung. Die Versammlung war an keine Auflagen gebunden. Zu Beginn der Demo war das Polizeiaufgebot noch recht gering.

Ab Ecke Simon-Dach-Straße/ Niederbarnim-Straße wurde die Polizeipräsenz erheblich durch die 1. Bereitschaftspolizeiabteilung verstärkt. Zusätzlich wurde eine erhöhte Gefahrenlage durch das Aufsetzen der Polizeihelme vermittelt. Dennoch ließen sich die Teilnehmer*innen nicht beirren, sodass die Demo weiter Richtung Frankfurter Allee lief.

Wenig später wurde die Demo ab der Frankfurter Allee von zwei Hundertschaften in voller Montur im Spalier begleitet. Ein Grund für dieses verstärkte Polizeiaufgebot war nicht ersichtlich. Die Begründung der Polizei dafür war eine vermeintliche Vermummung von einzelnen Teilnehmenden, die allerdings schwer von wetterbedingter Kleidung abzugrenzen war.

Besonders auffällig auch in diesem Jahr war das dauerhafte Filmen durch die Polizei der Demonstration von Beginn bis über das Ende der Versammlung hinaus. Dabei wurde besonders der vorderste Teil der Demonstration beidseitig gefilmt, als auch die gesamte Demo und einzelne Teilnehmende.

Wie geplant beendeten die Veranstaltenden die Demonstration am Frankfurter Tor um 19.25 Uhr. Jedoch kam es zu einer verspäteten Spalierauflösung, weshalb das Verlassen des Versammlungsortes erschwert wurde. Anschließend konnten drei Festnahmen beobachten werden.

Insgesamt beobachteten wir eine ohne große Zwischenfälle ablaufende Veranstaltung, deren Polizeiaufgebot dazu nicht im Verhältnis stand.

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Mittwoch, Oktober 11, 2017

Der Fall Mohamed Hajib


Wie deutsche Sicherheitsbehörden die marokkanische Folterpraxis unterstützen

Informationsveranstaltung mit
Rechtsanwalt Eberhard Schultz
und Mohamed Hajib
Donnerstag, 12. Oktober 2017
11 Uhr • Humboldt-Universität zu Berlin
Unter den Linden 6 • Raum 2070a

Kampagne zur Freilassung von Mohammed Hajib der NGO CAGE
Der Deutsch-Marokkaner Mohamed Hajib wurde 2010 aus Pakistan kommend unter aktiver Mitwirkung von Mitarbeitern des hessischen LKA auf dem Flughafen in Frankfurt am Main dazu gebracht, gegen seinen Willen nach Marokko weiter zu fliegen. Dort wurde er noch in der gleichen Nacht festgenommen, auf der Polizeistation aufs schwerste gefoltert und in einem anschließenden Prozess mit den erfolterten „Geständnis“ als einzigem Beweismittel zu zehn Jahren Haft wegen „Terrorismus“ verurteilt.

Der Fall hatte international für Aufsehen gesorgt und 2012 aufgrund einer Stellungnahme des UN-Menschenrechtsausschusses vom 31. August 2012 auch zu einer Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen. In der Stellungnahme  heißt es am Schluss der umfangreichen Begründung:
Die Verhaftung von Herrn Mohamed Hajib ist willkürlich, sie verletzt die Artikel 5, 9, 10 und 11 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Artikel 7, 9 und 14 des Internationalen Paktes zu den bürgerlichen und politischen Rechten. Seine Verhaftung erfüllt die Kategorie 111 der willkürlichen Verhaftung... Deswegen ersucht die Arbeitsgruppe die Regierung von Marokko, die unmittelbare Freilassung von Herrn Hajib zu veranlassen und ihm eine angemessene Entschädigung nach Maßgabe des Artikel 9 Abs. 5 des Internationalen Paktes zu den bürgerlichen und politischen Rechten zu zusprechen.
Nach anfänglicher Weigerung der Bundesregierung konnte Mohamed Hajib mittlerweile nach Deutschland zurückkehren. Er ist nach Aussagen seines Rechtsanwalts Hans-Eberhard Schultz schwer gezeichnet von der Haft und leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. RA Schultz beabsichtigt, die Bundesrepublik Deutschland und die Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch zu nehmen.

Über den Fall und seine Bedeutung diskutieren sein Anwalt, Menschenrechtsexpert*innen und -organisationen mit Journalist*innen und euch.

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Dienstag, Oktober 10, 2017

Feindstrafrecht in Deutschland?

Berichte aus den Strafverfahren gegen die PKK

Dienstag, 10. Oktober 2017
um 16 Uhr c.t.
Humboldt-Universität zu Berlin
Unter den Linden 6 • Raum 2097

https://www.facebook.com/kritowo/

Eine Veranstaltung mit Rechtsanwalt Lukas Theune im Rahmen der kritischen Orientierungswoche an der HU

Wer radikale Kritik übt und dies in die Gesellschaft und auf die Straße trägt, kommt nicht selten mit staatlicher Repression in Kontakt. In den darauffolgenden Strafverfahren entsteht von außen häufig der Eindruck, das Gericht stelle objektiv die Sachlage fest und wende dann lediglich das Gesetz an. Dass aber das Recht selbst und dessen Anwendung immer politisch ist, bekommen insbesondere linke nicht-deutsche Strukturen mit voller Härte zu spüren.

Während Kurd*innen im Nahen Osten als eine der wenigen emanzipatorischen Kräfte gegen die islamistische Bedrohung kämpfen und seit Jahren unter Repression durch das Erdogan-Regime in der Türkei leiden, werden in Deutschland lebende Kurd*innen zahlreich vor Strafgerichten angeklagt, weil sie für Organisationen wie die PKK geworben haben sollen. Rechtsanwalt Lukas Theune, die kurdische Aktivistin Gulaysan Karaaslan und die Prozessbeobachtungsgruppe Justizwatch werden über das repressive Vorgehen des deutschen Staates gegen Kurd*innen sprechen und berichten, wie problematisch die Grundlagen und die Durchführungen dieser politischen Strafprozesse sind.

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Montag, Mai 01, 2017

Wo Polizei drinsteckt, soll auch Polizei draufstehen!

Pressemitteilung der Kritischen Demobeobachtung Berlin zur Demonstration „Organize! Selbstorganisiert gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung“ am 30. April 2017 im Berlin-Wedding


Das zeitweise aggressive Auftreten der Berliner Polizist*innen konnte den antikapitalistischen Prostest in der Walpurgisnacht nicht stoppen. Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt jedoch der massive Einsatz von Zivilpolizei in und um den Demonstrationszug.



Am 30. April versammelten sich ungefähr 3.000 Menschen unter dem Motto „Organize! Selbstorganisiert gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung“ zur alljährlichen Walpurgisnachtdemo im Wedding. Die kritische Demobeobachtungsgruppe Berlin, die die Demonstration begleitete, ist ein Zusammenschluss verschiedener Beobachtungsgruppen, darunter unter anderem die Kritischen Jurist*innen der FU Berlin und der arbeitskreis kritischer jurist*innen der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin). Demonstrationsbeobachtungen rühren aus der Erfahrung her, dass es bei vergleichbaren Versammlungen immer wieder zu Beschränkungen der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Grundgesetz und zu Übergriffen von Seiten der Polizei kommt.

Bevor sich der Demonstrationszug in Bewegung setzen konnte, sorgte ein massives Polizeiaufgebot für eine abschreckende Wirkung auf potentielle Teilnehmer*innen. Schon die Anreise zur Demonstration ist von der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt. Ungekennzeichnete Zivilpolizist*innen sowie uniformierte Beamt*innen waren bei den angekündigten Treffpunkten in Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain vor Ort. Am Startpunkt der Demonstration am Leopoldplatz gab es bereits eine Stunde vor Beginn der Versammlung systematische Taschenkontrollen sowie Polizist*innen, die sich unter Demonstrationsteilnehmer*innen mischten.

Während des gesamten Demoverlaufs fiel der unrechtmäßige Einsatz zahlreicher ungekennzeichneter Zivilpolizist*innen auf, die sich den Veranstalter*innen nicht zu erkennen gegeben hatten. Besonders besorgniserregend ist dabei, dass sich somit während der gesamten Veranstaltung bewaffnete Beamt*innen in Zivil zwischen den Teilnehmer*innen befanden.

Christina Tieck, Pressesprecherin der kritischen Demonstrationsbeobachtung Berlin, bemerkte diesbezüglich: „Es bleibt zu hoffen, dass die zur Tarnung mitgeführten Bierflaschen der Marke Rothaus nicht während des Einsatzes geleert wurden.“

Das bedrohliche Auftreten der Polizei äußerte sich insbesondere durch den Einsatz von Hamburger Gittern und Polizeihunden vor dem Amtsgericht Wedding. Dieses Auftreten sowie der zeitweise Einsatz von Sturmhauben, Quartzhandschuhen und Vollkörpermontur kriminalisierte die legitime Meinungsäußerung der Demonstrant*innen. Unnötiger Weise riskierte die Polizei durch die rabiate Festnahme einer Person, die sich inmitten der Versammlung befand, ohne erkennbaren Grund eine Eskalation. Die Demonstrant*innen reagierten jedoch besonnen und setzen die Demonstration auf der festgelegten Route Richtung Gesundbrunnen fort.

„Trotz der Einschüchterungstaktik der Polizei ist es den Demonstrant*innen gelungen, ihren Prostest gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung lautstark und entschieden auf die Straße zu tragen“, kommentierte abschließend Pressesprecherin Tieck.

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Dienstag, April 25, 2017

Keine Erweiterung polizeilicher Befugnisse in der DNA-Analyse!

akj-berlin unterstützt den Protest des Gen-ethischen Netzwerk e.V. gegen das „Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“


In größter Eile bemühen sich Sicherheitspolitiker_innen derzeit darum, noch in dieser Legislaturperiode die polizeilichen Befugnisse bei der DNA-Analyse drastisch zu erweitern. In einer Stellungnahme des Gen-ethischen Netzwerk e.V. protestieren 25 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch der arbeitskreis kritischer jurist_innen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin), gegen diesen äußerst bedenklichen Vorstoß. Sie bemängeln eine fehlgeleitete Informationspolitik, die Verletzung von Datenschutzrechten und befürchten rassistische Stimmungsmache.
Am 27.04.2017 wollen sich Vertreter_innen der Koalition über die endgültige Version des Entwurfs des „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicherenAusgestaltung des Strafverfahrens“ (BT-Drs. 18/11277) einigen, der schon im Mai durch den Bundestag beschlossen werden soll. Mit dem Gesetz soll es der Polizei erlaubt werden, bei Massengentests Rückschlüsse auf die DNA von Verwandten einer Probengeber_in zu ziehen. Außerdem kamen aus dem Bundesrat weitere Forderungen, nämlich im Rahmen dieses Gesetzes auch die Vorhersage von Augen-, Haar und Hautfarben über DNA-Analysen sowie die Tests so genannter „biogeographischer Herkunftsmarker“ zu legalisieren. 
 
Susanne Schultz, Vorstandsmitglied des Gen-ethischen Netzwerks sagt dazu: 
„Diese Analysen erlauben keine eindeutigen Aussagen, es geht hier um Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Diese sind nicht nur methodisch hochproblematisch. Mit der Verwandtensuche wird das Prinzip der Freiwilligkeit bei Massengentests verletzt.“
Gemeinsam mit 24 anderen Menschenrechtsorganisationen protestieren wir gegen diese Vorhaben, wie sie im „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ gebündelt werden. Die vorgeschlagenen Verfahren erlauben keine eindeutigen Aussagen, sondern nur Wahrscheinlichkeitsbewertungen (1). Vor allem aber verletzen sie bisherige Standards des Datenschutzes (2) und können rassistische Stimmungsmache und Diskriminierung fördern oder gar heraufbeschwören (3).

1) Politik und Medien überschätzen die wissenschaftliche Aussagekraft und den kriminalistischen Nutzen dieser DNA-Analyseverfahren bei weitem – Fehlinterpretationen sind vorprogrammiert

Die zur Legalisierung vorgeschlagenen Verfahren sind weder wissenschaftlich ausreichend überprüft noch kriminalistisch konsistent. Einfacher gesagt: Sie versprechen wesentlich mehr, als sie halten. Die Aussagekraft von Tests für die meisten Haar- und Augenfarben ebenso wie für die Hautfarbe ist äußerst niedrig. Nur bei spezifischen Merkmalen (eindeutig blauen oder dunkelbraunen Augen, eindeutig schwarzen oder roten Haaren) gibt es höhere Vorhersagewahrscheinlichkeiten. In den Studien liegen hier die Trefferquoten je nach verwendeten Markern, Referenzpopulationen und statistischen Modellen zwischen 87 und allerhöchstens 98 Prozent. Das heißt aber umgekehrt, dass selbst bei diesen Pigmentierungen 2 bis 13 Prozent der Ermittlungen in die Irre geführt werden. Zudem sind diese Verfahren wissenschaftlich bisher nicht ausreichend überprüft, und vorliegende Validierungsstudien sind von äußerst mangelhafter Qualität.

Ähnlich vage Ergebnisse erzielen Tests auf die „biogeographische Herkunft“. Höhere Wahrscheinlichkeiten lassen sich allenfalls bei kontinentaler Herkunft erzielen, nicht aber bei nationalen oder regionalen Eingrenzungen. Auch für Laien ist offensichtlich, dass angesichts der Geschichte globaler Migration selbst kontinentale Zuordnungen notwendig fehleranfällig sind. Die derzeit verfügbaren Tests kommen auch bei gleicher DNA aufgrund verschiedener Referenzdaten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zudem basieren diese Datenbanken auf stereotypen Zuschreibungen, wenn es um Ethnizität und Herkunft geht. So deskriptiv die „biogeographischen Marker“ vermeintlich sind – so sehr basieren sie auf Strategien der Rassifizierung.

Ebenso überschätzt der Gesetzentwurf auch das Verfahren der Verwandtensuche. Bei Massengentests sollen Verwandte einer/s Probengeber_in in Ermittlungen einbezogen werden, wenn das Proben-DNA-Profil teilweise mit dem Spuren-DNA-Profil übereinstimmt. Das Gesetz bestimmt nicht, wie hoch die Teilübereinstimmung ausfallen muss und erlaubt Rückschlüsse bis auf Verwandte dritten Grades in der Seitenlinie, auch wenn hier biostatistisch die Übereinstimmungen nur noch gering sind und eine hohe Quote falsch-positiver Zufallstreffer erwartbar ist. Zudem würde eine sehr große Gruppe entfernt verwandter Personen in Ermittlungen einbezogen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung mit der Spuren-DNA äußerst gering ist.

Der kriminalistische Nutzen dieser Verfahren ist insofern fragwürdig. Tatsächlich kommen sie auch dort, wo sie legal sind, äußerst selten zur Anwendung und führen noch seltener zu Ermittlungserfolgen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass eine wissenschaftsgläubige Überschätzung dieser Methoden, zu denen auch die mediale Darstellung der Gerichtsmedizin entscheidend beigetragen hat (der sogenannte CSI-Effekt), zu Fehlinterpretationen und irregeleiteten Ermittlungen führt.

2) Das Gesetzesprojekt verletzt seit langem gültige datenschutzrechtliche Prinzipien

Die zur Debatte stehenden DNA-Analyseverfahren verletzen bisher gültige datenschutzrechtliche Standards. Dies wiegt umso schwerer, als sie uneingeschränkt für alle Ermittlungen zugelassen werden sollen, bei denen heute DNA-Analysen erlaubt sind, also im Falle der Marker zu Aussehen und biographischer Herkunft etwa auch bei Diebstahl. Und Diebstahlermittlungen sind entgegen landläufiger Vorstellungen derzeit der bei weitem häufigste Anlass für DNA-Analysen, nicht Kapitaldelikte.

Bisher gilt das Prinzip, dass nur „nichtkodierende“ Bereiche der DNA analysiert werden dürfen, die keine Rückschlüsse auf Eigenschaften einer Person erlauben – mit der einzigen Ausnahme der chromosomalen Geschlechtsanalyse. Mit dem Gesetz sollen nun auch Analysen von Haut-, Haar- und Augenfarbe als unproblematisch gelten, da es sich um „äußerlich erkennbare Merkmale“ handele. Abgesehen davon, dass Haare gefärbt oder Augenfarben mit Kontaktlinsen geändert werden können, unterliegen grundsätzlich alle Pigmentierungen subjektiven und gesellschaftlichen Interpretationen. Eindeutige Zuordnungen sind also nicht so unproblematisch wie behauptet. Zudem steht zu befürchten, dass solche Tests neue Formen der Datenbankerfassung von Haar-, Haut- oder Augenfarbe nach sich ziehen, um die Testergebnisse in Ermittlungen überhaupt sinnvoll nutzen zu können.

Auch die angestrebte Zulassung der Verwandtensuche bei Reihenuntersuchungen steht in extremem Gegensatz zu bisherigen Kriterien von DNA-Analysen: Die so indirekt genetisch erfassten Verwandten können weder freiwillig zustimmen, noch sind sie Beschuldigte in einem Verfahren. Bei der Recherche von Verwandten bis zum dritten Grad würde eine enorme Anzahl Unbeteiligter ins Visier von Ermittlungen geraten. Zudem ist auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Teilnehmer_innen an solchen Massengentests gefährdet. Der Deutsche Anwaltverein hat dieses Verfahren bereits im August 2016 scharf kritisiert. Die Teilnehmenden könnten das Ausmaß der Tragweite ihrer Einwilligung zu einer Probenabgabe nicht abschätzen, mit der sie möglicherweise verdachtsbegründendes Material gegenüber Verwandten bereitstellen.

3) Die Anwendung dieser Verfahren kann rassistische Stimmungsmache auslösen und dazu führen, dass diskriminierte Gruppen öffentlich unter Generalverdacht gestellt werden

Es steht zu befürchten, dass die Ermittlungen nach Täter_innen entlang vager und fehleranfälliger Analysen äußerlicher Merkmale oder „biogeographischer Herkunft“ Diskriminierung oder gar rassistische Hetze verstärken oder auslösen. Technologien wirken nicht im luftleeren Raum, sondern stehen im Kontext aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse; dies gilt auch für polizeiliche Analyseverfahren. Schon der konkrete Anlass der aktuellen Gesetzesdebatte macht diese Gefahr mehr als deutlich. Die Gesetzgeber_innen reagierten unmittelbar auf die Hetzkampagne einer rassistischen Sekte, nachdem in Freiburg eine junge Frau ermordet worden war. Auch wenn die nun angestrebten DNA-Analyse-Verfahren für die Lösung dieses Falls laut rechtsmedizinischer Expertise gar nicht einsetzbar gewesen wären, stellen Politik und Medien sie als kriminalistisches Non plus ultra für gerade solche Fälle dar.

Zwar könnten auch Blauäugige oder Rothaarige über solche Verfahren ins Visier von Ermittlungen geraten. Aktuelle Erfahrungen zeigen aber, dass die deutsche Öffentlichkeit ungleich interessierter ist, wenn es um rassistisch diskriminierte Gruppen geht, die unter Generalverdacht gestellt werden können. Sollte auch die Suche nach „biogeographischen Herkunftsmarkern“ erlaubt werden, potenziert sich diese Gefahr noch einmal. Selbst polizeiliche und forensische Expert_innen haben in jüngsten öffentlichen Statements hierzu fälschlicherweise viele Formen der Kategorisierung durcheinander gebracht. Während die einen etwa betonen, dass diese Analysen keine Aussagen über das Aussehen zulassen, halten andere sie für adäquat, um etwas über die Hautfarbe aussagen oder gar die Person kulturell, nämlich „ethnisch“ einordnen zu können.

Befürworter_innen erklären zwar gerne, Kriminalist_innen wüssten über die Grenzen der Aussagekraft und Fehleranfälligkeit der Methoden Bescheid. Die gefährliche Wirkmächtigkeit von Technologiegläubigkeit kombiniert mit rassistischen Vorverurteilungen innerhalb der Sicherheitsapparate ist jedoch nicht zu unterschätzen. Dies haben etwa die Ermittlungsfehler beim so genannten „Phantom von Heilbronn“ mehr als deutlich gemacht: Die DNA einer Wattestäbchenverpackerin löste eine unglaubliche Ermittlungs- und Hetzkampagne gegen Roma und Sinti aus, während andere Ermittlungen etwa in Richtung rechter Gruppen zu dem Mord, der später dem NSU zugeordnet werden konnte, ausblieben.

  • Wir protestieren gegen die fehlgeleitete politische und mediale Darstellung dieser Methoden. Die sicherheitspolitisch geforderten DNA-Analysen sind keine Wahrheitsmaschinerie, sondern hochgradig fehleranfällig. Die Gefahren ihrer Anwendung wiegen weitaus schwerer als ihr geringer kriminalistischer Nutzen!
  • Wir protestieren dagegen, dass bisher gültige Datenschutzrechte dramatisch verletzt werden, wenn Rückschlüsse auf persönliche Eigenschaften und Verwandtschaftsbeziehungen via DNA-Analyse erlaubt werden!
  • Wir protestieren dagegen, dass das Gesetzesvorhaben rassistischer Stimmungsmache Vorschub leistet. Öffentliche Generalverdächtigungen gegen diskriminierte Gruppen aufgrund der Analyse von Haut-, Haar- und Augenfarben oder Herkunftsmarkern dürfen nicht durch solche Verfahren ermöglicht werden!

Unterstützer_innen

Aktion Bleiberecht                         
Amaro Foro e.V.
Antirassistische Initiative Berlin (ARI)
arbeitskreis kritischer jurist_innen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin)
Bayerischer Flüchtlingsrat
BioSkop - Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien e.V.
Datenschutzgruppe der Roten Hilfe Heidelberg
Flüchtlingsrat Hamburg e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
freiheitsfoo
Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)
Gen-ethisches Netzwerk e.V.
glokal e.V.
Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt Berlin (KOP)
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Kritische Mediziner*innen Freiburg
Netzwerk Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet)
ReachOut
Redaktion Bürgerrechte & Polizei/CILIP
Respect Berlin
Rote Hilfe e.V.
[SaU] - Seminar für angewandte Unsicherheit
Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg (TBB)
Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Women in Exile e.V.




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Sonntag, März 05, 2017

Kritisch, aber diskrimnierend?!

Das Plenum des akj-berlin hat am 28. Juni 2018 nach längerer Diskussion beschlossen, die nachfolgende Erklärung vom Blog zu nehmen. Die aktive Gruppe des akj-berlin ist mit den Ereignissen 2016 nicht befasst und in die Geschehnisse selbst nicht involviert gewesen. Sie fühlt sich – ohne hierzu eine neue Position formuliert zu haben – in ihrer Diversität durch die Ende 2016 als Kompromiss formulierte Erklärung nicht ohne Weiteres repräsentiert. Ein Admin hat sich aus historiographischen Gründen entschieden, den Post mit diesem Zusatz versehen, gleichwohl online zu lassen:

 

Erlärung des akj-berlin zu rassistischen Vorfällen anlässlich des BAKJ-Kongress in Leipzig 2016


Der BAKJ-Sommerkongress vom 3. bis 5. Juni 2016 in Leipzig stand unter dem schönen Titel recht queerfeministisch“.  In drei Workshopphasen fanden insgesamt zehn spannende Veranstaltungen zur Lebens- und Rechtssituation von LGBITQ-Refugees, zum Lagerkomplex in internationaler Perspektive, zur Wirkungsmacht von Pornographie, zur Reglementierung von Sexarbeit, zu Abtreibung- und Pränataldiagnostik, zu postkategorialem Antidiskriminierungsrecht, zu Konzepten solidarischer Carearbeit und vielen weiteren Themen statt. Sie waren von den kritische jurist*innen leipzig, dem akj-Dresden und dem akj-berlin vorbereitet worden. Leider kam es im Vorfeld des Kongresses und zu dessen Beginn zu einigen Auseinandersetzungen im und um das Orga-Team, in dessen Zuge von dritter Seite gegen die vom akj-berlin eingeladenen PoC-Referent*innen Antisemitismusvorwürfe erhoben wurden – darunter gegen zwei Referent*innen, die zum Konzept des Pinkwashing im Kontext der Asylanerkennungspraxis der deutschen Behörden sprachen, vor allem aber gegen eine Aktivistin der BDS-Kampagne, die zu Lagersystemen für Geflüchtete in Deutschland referierte. Unter anderem wurde über verschiedene Verteiler die aus unserer Sicht absurde Behauptung gepostet, es sei eine Resolution gegen Israel geplant. Bei unserem Eintreffen in Leipzig wurde uns deswegen mitgeteilt, zwei unserer Workshops dürften nicht stattfinden. Erst nach verschiedenen Klärungsversuchen konnten die Wogen geglättet und die Workshops wie geplant durchgeführt werden. Wir haben dies zum Anlass genommen, um das auch andernorts beobachteten Misstrauen gegen PoC-Anliegen und die unter den Schlagworten Antisemitismus und Rassismus geführten Kontroversen, sowie unsere eigene Positionierung und unser Verhalten darin zu reflektieren.

Wir bedanken uns bei den Referent_innen des BAKJ-Kongresses Leipzig 2016 für ihre wertvollen und unsere Struktur bereichernden Beiträge, entschuldigen uns bei ihnen für die rassistischen Vorkommnisse und sprechen ihnen unsere volle Solidarität aus. Wir schätzen ihre kritischen, linken Beiträge und Positionen sehr. 


Im Rahmen der Programmplanung des BAKJ erfolgten Ausschlüsse und wurden Ausschlüsse versucht, darunter mehrfaches Profiling von PoC-Referierenden. Diese konnten nur durch enorme persönliche Kosten von den PoC-Referent_innen und weißen Unterstützer_innen, verhindert werden. Wir nehmen diese Ereignisse als Anlass, unsere Strukturen selbstkritisch zu hinterfragen.


Wir wenden uns gegen pauschale Antisemitismusvorwürfe gegenüber PoC, Muslima und Personen, die als solche aus einer weißen Perspektive gelabelt werden. Wir erkennen dies als Teil von Rassismus in Deutschland. Wir als akj-berlin erkennen darin keine isolierten Einzelereignisse, sondern strukturellen Rassismus (sic!) – auch in sich als kritisch verstehenden, weiß-dominierten Jurist_innen-Kreisen, zu denen wir selbst gehören.


Uns ist dadurch auch in unserer eigenen Struktur klargeworden, dass eine eigenverantwortliche, kritische Auseinandersetzung von weißen Menschen mit antimuslimischem, anti-Schwarzem, Anti-Romni_jna und anti-jüdischem Rassismus bisher nur unzureichend stattgefunden hat. Dies muss für eine offene, kritische Zusammenarbeit jedoch Grundlage sein, möchte mensch nicht weiße Räume weiß halten. Dazu zählt auch die kritische Reflexion des eigenen Weißseins, sowie von kritischen Positionen zu Eurozentrismus, deutschen Exeptionalismen und internationalen Aspekten von Rassismus.


Unser universitärer Kontext:

Ausschlüsse:  

Die Ereignisse 2016 haben uns gezeigt, dass im universitären Kontext, auch an unserer Fakultät, rassistische Ausschlüsse unhinterfragt stattfinden. 

Unter der rassistischen, weil pauschalen Unterstellung von Antisemitismus oder Rassismus maßen sich überwiegend weiße, sich als kritisch verstehende Strukturen an, nicht auf Diskurse und Positionen eingehen zu müssen und verhindern Sprechpositionen von PoC und deren Unterstützer_innen. 

Ausschlüsse werden hierbei unter anderem durch ein Profiling bewirkt, was im Ergebnis, zur gesellschaftliche Ächtung von PoC-Personen und -Positionen führt.


Profiling:

Teil dieses ausschließenden Verhaltens ist das Profiling von PoC-Personen. Diese Praxis verhindert PoC-Sprechpositonen und ist Teil des antimuslimischen Rassismus in Deutschland. Dabei wird sich auf einen deutschen Exzeptionalismus im Verständnis und in der Beurteilung von dem, was in der linken Politik als vertretbar gilt, berufen. Weiße Personen setzen ihre Meinung als allgemeingültige Wahrheit und sehen es als überflüssig an, nicht-weiße und insbesondere nicht europäische Positionen zu diskutieren, sondern bekämpfen diese stattdessen mit Methoden der Ächtung und Diffamierung. Hierbei nutzen Sie ihre Privilegien in einem weißen, farbblinden Diskurs, in welchem Kritik und rassismuskritische Positionen als „störend“ oder gar „aggressiv“ gelabelt werden, um sie inhaltlich unsichtbar zu machen.


Fazit und Konsequenzen

Dies verurteilen wir! Wir werden uns stattdessen mit den von Rassismus betroffenen Menschen solidarisch zeigen, indem wir uns mit kritischer Rasse- und Rassismus-Theorie in der nächsten freischüssler-Ausgabe und im Rahmen eines Antirassismus-Lesekreises auseinandersetzen. Damit wenden wir uns gegen die Ausblendung der Relevanz verschiedener Formen von Rassismus und Diskrimminierung in unserer Gesellschaft und in der Lehre. Auch werden wir uns weiterhin mit antikolonialen Positionen, der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) und Kritiken an Pinkwashing beschäftigen.

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